Der 11. Senat des FG Baden-Württemberg hat entschieden, dass die einschränkenden Voraussetzungen der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 (EStG 2010) verfassungsgemäß sind. Diese Regelungen sind erstmals für Verluste anwendbar, für die nach dem 13. Dezember 2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wird (§ 52 Abs. 25 Satz 5 EStG 2010).
Der Kläger hatte im Jahr 2004 eine Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer begonnen und im August 2005 erfolgreich abgeschlossen. Seine hierfür im Jahr 2004 aufgewendeten Kosten hatte das beklagte FA aufgrund des in dieser Sache ergangenen Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juli 2011 VI R 5/10 (BFHE 234, 262, BStBl II 2012, 553) als Werbungskosten anerkannt und zum 31. Dezember 2004 einen verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer in Höhe von 64.949 EUR gesondert festgestellt. Für das Jahr 2005 hatte der Kläger eine Einkommensteuererklärung eingereicht, in der er neben geringfügigen positiven Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bei den Sonderausgaben unter der Bezeichnung „Aus-/Weiterbildung im nichtausgeübten Beruf“ auch weitere Kosten der Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer in Höhe von 16.408 EUR erklärt hatte. Das FA hatte daraufhin die Einkommensteuer des Klägers für 2005 auf 0 EUR festgesetzt, da sich ein negatives zu versteuerndes Einkommen ergeben hatte. Der Einkommensteuerbescheid 2005 vom 6. Juli 2006 blieb unangefochten.
Erstmals am 19. August 2011 ging beim FA ein Antrag des Klägers auf Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2005 ein, in welchem die ursprünglich als Sonderausgaben erklärten Ausbildungskosten in Höhe von 16.371 EUR nunmehr als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit qualifiziert wurden. Das FA lehnte den Antrag unter Hinweis auf die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 2005 ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wollte der Kläger erreichen, dass der aus 2004 herrührende Verlustvortrag um die Berufsausbildungskosten des Jahres 2005 erhöht wird.
Das Finanzgericht wies die Klage ab. Da der Kläger erstmals mit Schreiben vom 19. August 2011 und somit nach dem maßgeblichen 13. Dezember 2010 eine Verlustfeststellung zum 31. Dezember 2005 beantragt habe, seien § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG 2010 anwendbar (§ 52 Abs. 25 Satz 5 EStG 2010). § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG 2010 bewirke eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid. Daher entfalle die Verlustfeststellung, wenn der Einkommensteuerbescheid des betroffenen Veranlagungszeitraums nicht mehr änderbar sei. Sei der Steuerbescheid dieses Veranlagungszeitraums bestandskräftig und berücksichtige er keinen Verlust, komme eine Verlustfeststellung nur noch in Betracht, wenn der Steuerbescheid des Verlustentstehungsjahres nach den Vorschriften der Abgabenordnung änderbar sei. Das gelte sowohl für den erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustvortrag als auch für die Änderung der Verlustfeststellung. Im Zeitpunkt der Antragstellung des Klägers sei der Einkommensteuerbescheid 2005 bereits bestandskräftig gewesen. Eine Änderungsmöglichkeit nach der Abgabenordnung bestehe nicht. Eine von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG 2010 abweichende Festsetzung nach Satz 5 der Vorschrift scheide ebenfalls aus. Eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung des Einkommensteuerbescheides 2005 unterbleibe nicht ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer, sondern weil der Bescheid mangels eines Einspruchs bestandskräftig geworden sei.
Der in § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG 2010 enthaltene Anwendungsbefehl entfalte zwar Rückwirkung, verstoße aber nicht gegen die Verfassung. Es liege nur eine gerechtfertigte tatbestandliche Rückanknüpfung vor. Der Gesetzgeber habe mit § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG 2010 ausschließen wollen, dass Rechtsfragen trotz bereits bestandskräftiger und verfahrensrechtlich nicht mehr änderbarer Einkommensteuerveranlagung im Verlustfeststellungsverfahren aufgeworfen werden können. Dies würde zu nicht beabsichtigten Vorteilen gegenüber anderen Steuerpflichtigen führen, die die nämliche Rechtsfrage im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung aufgeworfen und nach für sie negativer Entscheidung im Vertrauen auf die in diesem Zeitpunkt maßgebliche Rechtsprechung den (ggf. negativen) Feststellungsbescheid hätten unanfechtbar werden lassen. Die Vorschrift des § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG 2010 solle den Steuerpflichtigen das Risiko eines Rechtsbehelfsverfahrens nicht dadurch abnehmen, dass ihnen gestattet werde, sich auf Tatsachen gegenüber dem FA erst dann zu berufen, wenn etwa durch eine spätere Änderung der Rechtsprechung eine Rechtslage eintrete, die eine bisher nicht vorgetragene Tatsache nunmehr als relevant erscheinen lasse. Das zeige auch der vorliegende Fall. Der Kläger hätte lediglich die streitbefangenen Aufwendungen bereits im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für 2005 als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit erklären und auf der Grundlage dieser Qualifizierung einen Antrag auf Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 2005 stellen müssen.
Gegen das Urteil ist Revision beim Bundesfinanzhof anhängig (IX R 15/17).
(FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 30.6.2017 zu Urteil vom 17.1.2017 – 11 K 1669/13)